Als ich vor Jahren erstmals ein Buch über „radikale Akzeptanz“ in der Hand hielt, erschrak ich. Ich soll all meinen Schmerz, die Ungerechtigkeiten und Schicksalsschläge meines Lebens akzeptieren – und ihnen damit zustimmen? Aufgebracht stellte ich das Buch zurück ins Regal der Buchhandlung. Fortan betrachtete ich die Akzeptanz als ein theoretisches Konzept unter mehreren, die das Bewältigen von Alltagsfrust und Traumata anstreben. Ich fühlte mich gar nicht angesprochen, war aber auch nicht mehr aufgebracht bei diesem Thema. Es schien mir schlicht unmöglich, diese „Akzeptanz“ aufrichtig zu praktizieren.
Doch mit den Jahren entdeckte ich, dass Akzeptanz – die immer etwas Radikales an sich hat – nicht Zustimmung bedeutet. Akzeptanz kann mein Leben verändern, weil ich Energie für Lösungen gewinne, anstatt im Problem zu verharren. Das hat in meinem Leben nachhaltige Veränderungen bewirkt – und im Leben der Klienten, die bereit dazu waren, sich auf diesen mutigen Schritt einzulassen. Nun endlich gebe ich der Akzeptanz die Beachtung, die sie unbedingt verdient.
Der Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Wenn sich etwas ereignet, das nicht mit unserer Vorstellung, dem Gefühl für Gerechtigkeit oder unserem Wunsch übereinstimmt, entsteht eine Art Dissonanz. Das Sichtbare, Erlebte harmoniert nicht mit dem Möglichen, Erstrebenswerten. Die dadurch ausgelösten Gefühle kennen wir alle: Widerstand in Form von Ärger, Frustration, Zorn. Häufig empfinden wir auch Enttäuschung, Traurigkeit oder Ohnmacht. Wenn Scham dazukommt, ist es besonders schlimm, denn Scham gehört zu den Tabu-Gefühlen.
Um sich zu beruhigen, versucht unser Geist, die Differenz zwischen möglicher und erlebter Realität zu überbrücken: Wir durchdenken immer wieder die Situation, wie erörtern, wie sie anders hätte verlaufen sollen. Wir analysieren immer wieder, warum ein Mensch sich anders verhalten hat als unsere Vorstellung es erwartet hätte. Und es kommen Ängste hoch, fast Katastrophen-Szenarien, wie zum Beispiel im Fall einer Kündigung oder einer gesundheitlichen Diagnose.
Energie sparen
Wenn nun jemand kommt und sagt: Die Energie für diesen Widerstand können wir uns sparen, indem wir einfach die Situation akzeptieren – dann sind wir geneigt, in weiteren massiven Widerstand zu gehen. So eine schlimme Situation kann man nicht akzeptieren, die muss man doch verändern, wenigstens verändern wollen, so unser Gefühl. Und überhaupt – bedeutet Akzeptanz nicht, die traurigen, zornigen und hilflosen Gefühle zu verdrängen, zu überspringen und uns damit selbst zu schaden?
Die Situation ist so eingetreten und lässt sich aktuell nicht verändern. Also sind all unsere Vorstellungen davon, wie sie idealerweise sein müsste, im Grunde Verschwendung von geistiger und emotionaler Energie.
Wir verstehen Akzeptanz besser, wenn wir uns noch einmal anschauen, was sie nicht ist – und was sie ist.
Akzeptanz und Widerstand
Zuerst einmal ist Akzeptanz das Gegenteil von Widerstand. Widerstand ist uns zutiefst vertraut, schon seit früher Kindheit. Widerstand heißt: So soll es NICHT sein. Das darfst du NICHT. Das darf der andere nicht. Das war NICHT gut. Verbunden ist Widerstand häufig mit der Aufforderung, die Situation zu korrigieren. Bring das in Ordnung!
Die Folge davon ist, dass wir ständig dabei sind, unsere Umwelt – Menschen und Umstände – und uns selbst – zu bewerten.
Hast du einmal darauf geachtet, wie oft am Tag du Bewertungen formulierst – über dich selbst und über deine Umwelt? Zum Beispiel:
- das Ergebnis von Aktivitäten
- die Kommunikation
- das äußere Erscheinungsbild
- das Wetter
- die Verkehrssituation
Unser Verstand ist fast ständig damit beschäftigt, Bewertungen zu formulieren. Sie dienen unserer Orientierung in einer Welt, die immer komplexer wird. So gleichen wir immer wieder neu die realen Umstände und Vorkommnisse mit unseren Idealen ab. Im Straßenverkehr, am OP-Tisch, im Flugzeug-Cockpit schützen diese Bewertungen das Leben der Akteure und der ihnen Anvertrauten. Doch auch hier dürfen die Akteure nicht in der Bewertung verharren, sondern müssen sich auf eine Lösung konzentrieren.
Wenden wir uns dem Alltag zu, an dem jederzeit etwas Gravierendes geschehen kann:
- Ein Streit mit der Freundin
- Die Enttäuschung durch den Partner
- Der immer wieder auftretende Konflikt mit einer Kollegin
- Die Trennung von der Partnerin
Solche Situationen gehen uns nahe. Wir lehnen sie ab, gehen in Widerstand, verspüren den dringenden Wunsch, sie zu korrigieren. Der Verlust, der in der Situation liegt, fühlt sich lebensbedrohlich an: Verlust an Verbundenheit, Vertrauen, Respekt, Schutz.
Unser ganzes System wehrt sich dagegen, diese für unser Wohlbefinden nachteilige Situation so stehenzulassen. Körper, Geist und Seele sind in Aufruhr, es fühlt sich an wie ein Ausnahmezustand – und es ist auch einer. In diesem Zustand sind wir nicht bei uns selbst, wir können keine Lösung finden. Und die Idee der Akzeptanz fühlt sich fast wie Hohn an. Der Grund dafür sind die Missverständnisse, die mit der Akzeptanz verbunden sind.
Missverständnisse zur Akzeptanz
Einigen Missverständnissen zur Akzeptanz bin ich selbst früher aufgesessen:
- Wenn ich das jetzt akzeptiere, gebe ich mich mit Mittelmaß zufrieden. Ich will aber das richtig Gute.
- Wenn ich das akzeptiere, blockiere ich meine Weiterentwicklung, trete auf der Stelle. Ich will aber vorankommen.
- Wenn ich das akzeptiere, gebe ich mein Einverständnis zu dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit, die mir oder einem anderen Menschen geschehen ist. Ich will aber Gerechtigkeit für alle Beteiligten.
- Wenn ich das akzeptiere, ermögliche ich gleichgültigen, machthungrigen, unsozialen Menschen, ihr Verhalten unverändert fortzuführen. Ich will aber, dass Menschen sich sozial und sozial verantwortlich verhalten.
Alle diese Missverständnisse sind im Grunde Denkfehler. Ich denke, dass meine Akzeptanz eine Form von Zustimmung darstellt. Das jedoch tut sie nicht. Es ist vielmehr so: Ich erkenne die Situation an und respektiere sie als einen Umstand, den ich aktuell nicht ändern kann. Indem ich den Widerstand gegen die Situation aufgebe, wird sofort Energie frei. Diese Energie kann ich für Lösungen nutzen.
Akzeptanz ist ein Entschluss
Bei meiner Recherche zum Thema Akzeptanz stieß ich auf Beiträge, die ausführliche Anleitungen bieten, wie du zur Akzeptanz finden kannst. Meiner Erfahrung nach sind solche Anleitungen im Akutfall untauglich. Wenn unser System – Körper, Geist und Seele – in Aufruhr sind, ist kein Platz für ein strukturiertes Procedere. Ausgenommen sind Abläufe, die zuvor intensiv trainiert und verinnerlicht wurden, so dass der innere Aufruhr gar nicht erst entsteht, wie zum Beispiel im Flugzeug oder am OP-Tisch.
Doch im Alltag mit seinen Wünschen, Pflichten und Herausforderungen hast du solche Abläufe nicht parat.
Meiner Erfahrung nach brauchst du nur einen einzigen Schritt zu gehen:
Entscheide dich, die Situation jetzt zu akzeptieren.
Das klingt simpel, und im Grunde ist es das auch. Über den Verstand gibst du an dein System den „Befehl“ aus: „Alle gehen in Akzeptanz. Widerstand ist beendet.“
Praktisch kann das so aussehen:
„Ich finde die Situation ungerecht. So hätte es nicht laufen dürfen. Das habe ich nicht verdient. Ich akzeptiere es.“
Du wirst merken, wie sich dein System automatisch entspannt: Die Gedanken werden klarer, du atmest tiefer, dein Körper beruhigt sich. Der Aufruhr in deinem Inneren hat sich weitgehend gelegt.
Wichtig: Wenn du die Entscheidung zur Akzeptanz triffst, musst du das nicht fühlen. Es geht nur um die Entscheidung deines Bewusstseins.
Das ist natürlich auch ein Prozess; manchmal dauert es etwas länger, bis wir uns zur Akzeptanz entschließen können. Doch die Erfahrung zeigt: Es lohnt sich.
Akzeptanz der Gefühle
Und was ist mit den Gefühlen? Damit gehen wir genauso um:
„Ich fühle mich ausgeschlossen, einsam, ängstlich. Ich akzeptiere es.“
Dieser Schritt ist genauso wichtig wie die Akzeptanz der Situation, denn auch deine Gefühle wollen anerkannt und respektiert werden. So können sie sich noch einmal ausdehnen und sich dann langsam wandeln. Aus Ohnmacht kann Entschlossenheit erwachsen, aus Fassungslosigkeit Gelassenheit. Deine Gedanken können beginnen, Lösungen und Entscheidungen zu entwickeln und dabei vorhandene Ressourcen einzubeziehen.
So verändert Akzeptanz dein Leben: Du hast mehr Energie zur Verfügung, die Situation für dich zu beeinflussen; du läufst weniger Gefahr, im Schmerz steckenzubleiben und zu verbittern.
Das wirkt sich auf dein Verhalten aus, auf deine Entscheidungen, auf deine Ausstrahlung. kreierst neue Situationen, lernst neue Menschen kennen und findest Lösungen, auf die du ohne Akzeptanz nicht oder erst viel später gekommen wärst.
Und wenn du eine weitere bekannte, doch weithin unterschätzte Technik zur Lebens-Transformation mit der Akzeptanz verbinden möchtest, dann könnte die Dankbarkeitspraxis für dich genau die richtige sein.
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