Meistens beachtet mich niemand. Ich bin nur ein Pflasterweg mit ein paar Biegungen; nichts Besonderes also. Flüchtig betrachtet, gleicht ein Stein dem anderen.
Die Menschen hasten auf mir entlang. Wenige gehen langsam; alte oder behinderte Menschen, die gern schneller ans Ziel kämen und deshalb ernst dreinblicken. Ein Mann im Rollstuhl kommt oft her. Ich glaube, er mag mich, weil er auf mir ohne Hilfe fahren kann; es gibt keine Stufen oder andere Hindernisse.
Aber die meisten haben es eilig, von der Bushaltestelle zum Supermarkt zu kommen. Ich weiß nichts über das, was sie noch vorhaben, doch sie tun mir leid, diese hetzenden Menschen.
Gerne würde ich jedem Einzelnen zurufen: Halt! Bleib stehen! Atme durch, schau dich um, schau auch einmal auf mich. Dann entdeckst du, dass alle meine Steine verschieden gemasert sind, dass ich diese zwei Kurven habe, die ein geschwungenes S bilden und dass gleich nebenan auf der Wiese Gänseblümchen, Tausendschönchen und wilde Malven blühen.
Doch wer weiß, ob einer von ihnen meinen Ruf beachten würde.
Neulich kam das Mädchen in der abgewetzten Jeans wieder her. Tags zuvor hatte sie zitternd an meiner Seite gesessen, genau in dem S, mit einem Brief in der Hand, auf den ihre Tränen tropften.
Nun hüpfte sie summend auf mir entlang, einen Strauß pinkfarbener Malven in der Hand. Ein paar ihrer Blätter fielen auf mich herab; oder schenkte die Kleine sie mir, um ihre Freude mit mir zu teilen? Ein Lichtstrahl tanzte durch die Luft.
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